Der Europa-Preis für das Theater führt seine internationale Reise fort, in welcher er Kulturen und Länder im Zeichen des Theaters als privilegiertem Ort der Versammlung und des Austausches besucht, und kommt im Jahr 2011 nach Sankt Petersburg. Die Veranstaltungen erhalten die Unterstützung und Schirmherrschaft der russischen Regierung durch das Ministerium für Kultur, sowie der Verwaltung der Stadt Sankt Petersburg. Außerdem haben sich die Stiftung Baltic International Festival Center Fund sowie das Baltic House-Theater dazu bereit erklärt, die Veranstaltungen des Europa-Preises für das Theater in Sankt Petersburg zu beherbergen, zu finanzieren und zu organisieren.
Viele geografische und politische Gegebenheiten haben sich im Vergleich zur Situation vor einigen Jahrzehnten verändert, und heute können wir Europa als eine konkretere Wirklichkeit betrachten. Die Völker, die unseren Kontinent bewohnen, können sich viel schneller austauschen; wohl auch Dank der Internetverbindung und der sogenannten Social Networks gibt es inzwischen einen täglichen Ideen- und Kulturaustausch in Echtzeit.
Diese vierzehnte Ausgabe der Veranstaltung verspricht ein reichhaltiges Angebot an Konferenzen, Aufführungen, Voraufführungen und wichtigen Momenten des Kulturaustausches, denn Sankt Petersburg und Russland waren schon immer Synonym für eine große Tradition des Theaters und der Literatur, bekannt in aller Welt über die Geschichten und die Persönlichkeiten, von denen Künstler wie Dostojewski, Tschechow, Tolstoi, Gogol erzählen, um nur einige zu nennen. Unter dieser Voraussetzung bin ich sicher, dass diese Ausgabe des Preises zahlreiche Gelegenheiten zum Dialog und zur Diskussion bieten kann, auch mit Hinblick auf die Statur der Künstler, welchen die Preise verliehen werden, und die hohe Qualität ihrer Aufführungen und Begegnungen.
In einer solch lebhaften Atmosphäre werden die Preisträger dieser vierzehnten Ausgabe einen wichtigen Beitrag zur Veranstaltung leisten.
Der 14. Europa-Preis für das Theater an Peter Stein feiert die Karriere eines der bedeutendsten deutschen und europäischen Theatermacher der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der monumentale Projekte schuf und diese oft an ungewöhnlichen Orten aufführte. Auf das Jahr 1970 geht die Gründung der Schaubühne Berlin durch Stein zurück. Das Ensemble, dem außergewöhnliche Schauspieler wie Bruno Ganz und Edith Clever angehören, schafft unkonventionelle Inszenierungen, in denen die Struktur des Theater- und Bühnenraumes außer Kraft gesetzt wird. Es soll hierzu an die denkwürdige Inszenierung der Orestie (1980) erinnert werden, die 1993 in einer russischen Ausgabe mit der Theaterkompanie der Roten Armee neu produziert wurde, sowie an den monumentalen Faust mit Bruno Ganz für die Expo 2000 in Hannover. Zuletzt – zeitlich gesehen, nicht von der Bedeutung her – das Projekt Dämonen von 2009 mit italienischen Schauspielern und Maddalena Crippa in der Rolle der Varvara Petrovna Stravogina, sowie Ödipus auf Kolonos, das 2010 bei den Salzburger Festspielen mit Klaus Maria Brandauer vorgestellt wurde. Die Hommage an den deutschen Regisseur sieht zwei Aufführungen vor: Der zerbrochene Krug von Heinrich von Kleist mit Klaus Maria Brandauer und dem Berliner Ensemble sowie, nach der Zeremonie der Preisverleihung, Faust Fantasie von Goethe, eine Melodram-Suite für Klavier und Stimme, mit dem Maestro Arturo Annecchino am Klavier und Peter Stein selbst als Erzähler auf der Bühne. Eine Konferenz und eine Begegnung mit dem Preisträger vervollständigen die Würdigung Peter Steins.
Was die Verleihung des 12. Europa-Preises für Theaterwirklichkeiten betrifft, so fiel die Wahl der Jury aus einer Kandidatenliste von über 50 internationalen Künstlern, die vom (aus fast 400 Experten des europäischen Theaters zusammengesetzten) Beratungsgremium und von den Mitgliedern der Jury selbst in einer Vorberatung nominiert wurden, auf eine Reihe von Künstlern, die den Anforderungen von Artikel 3 des Preisreglements genau entsprechen: „[...] Seit der zweiten Ausgabe hat die Jury des Europa-Preises für Theaterwirklichkeiten betont, dass der Preis eine Gelegenheit zur Begegnung und zum Vergleich zwischen verschiedenen Ausdrucksformen des neuen europäischen Theaters sein soll. […]”.
Der 12. Europa-Preis für Theaterwirklichkeiten wird den folgenden Künstlern (in alphabetischer Reihenfolge) verliehen:
Wiliam Dočolomanský, seit 2008 Kandidat (Slowakei/Tschechische Republik), Katie Mitchell, seit 1999 Kandidatin (Großbritannien), Andre Moguchi, seit 2008 Kandidat (Russland), Kristian Smeds, seit 2001 Kandidat (Finnland), Teatro Meridional, seit 2007 Kandidat (Portugal) und Vesturport Theatre, seit 2007 Kandidat (Island).
Die Jury hat nach eingehender Vorarbeit zur Kenntnis und Vertiefung der Kandidaten für die Verleihung des Europa-Preises für Theaterwirklichkeiten beschlossen, auch Vertreter geografischer Regionen zu prämieren, die bisher noch ohne Würdigung waren, um so eine neue Phase des Europa-Preises für Theaterwirklichkeiten zu eröffnen, wie es die vorangegangene Juryversammlung gefordert hatte.
Was das diesjährige reichhaltige Programm betrifft, so wird das kreative Talent des zeitgenössischen Tanztheaters, Wiliam Dočolomanský, The Theatre präsentieren, eines seiner charakteristischsten Stücke, sowie The Journey, eine „small collection“ seiner innovativsten Werke, an deren Ende in Welt-Urvoraufführung ein Auszug aus Girlfriends zu sehen sein wird, seiner neuen Produktion.
Andrei Moguchi wird die Besucher der Veranstaltung in seinem Sankt Petersburg mit Blue Bird empfangen, seinem neuen, poetischen und von allen mit Spannung erwarteten Stück.
Kristian Smeds bringt als internationale Voraufführung Mr. Vertigo auf die Bühne, die neueste Arbeit dieses finnländischen Regisseurs nach einem Text von Paul Auster (produziert vom Finnischen Nationaltheater).
Das Teatro Meridional trägt zur Veranstaltung mit 1974 bei, seinem jüngsten Werk (produziert vom Teatro Nacional Doña Maria II Lissabon) als internationale Voraufführung, von der Nelkenrevolution in Portugal inspiriert, außerdem mit Cabo Verde, einem der bedeutendsten Werke im Repertoire der Gruppe, sowie gleich darauf folgend mit The Specialists, einem „work in progress“ in internationaler Voraufführung.
Das Vesturport Theatre präsentiert Metamorphosis von Franz Kafka, ein Stück der Gruppe, das inzwischen Kultstatus hat, und Faust nach Goethe, ihre jüngste Produktion, in internationaler Voraufführung. Die Musik zu beiden Stücken wurde vom berühmten Musikerduo Nick Cave und Warren Ellis geschrieben.
Konferenzen und Begegnungen vervollständigen die Veranstaltungen zur Würdigung der Preisträger des 12. Europa-Preises für Theaterwirklichkeiten.
Des Weiteren kann jenen Persönlichkeiten ein Sonderpreis verliehen werden, die mit besonderem Einsatz auf höchstem Niveau ihre eigenen kulturellen und/oder politischen Erfahrungen mit den europäischen Idealen und jenen des Friedens und der freundschaftlichen Koexistenz der Völker verbinden. Die Jury des 14. Europa-Preises für das Theater hat einstimmig beschlossen, dem legendären russischen Regisseur Juri Petrowitsch Ljubimow den Sonderpreis zu verleihen (welcher in der Vergangenheit in der 1. Ausgabe an Melina Mercouri und in der 6. Ausgabe an Vaclav Havel ging), für seine unbestrittene künstlerische Statur und die entscheidende Rolle, welche er zusammen mit dem Taganka-Theater in der delikaten Phase der Perestrojka innehatte, die den Übergang von der Sowjetunion zum heutigen Russland kennzeichnete. Die Würdigung des russischen Regisseurs sieht die Aufführung seiner neuesten Arbeit vor, Honig von Tonino Guerra, und wird von einer Begegnung mit Kritikern und Publikum vervollständigt.
Dieses Jahr präsentiert Lev Dodin, der Preisträger des 8. Europa-Preises für das Theater, seine neue Produktion Drei Schwestern von Tschechow in der Kategorie Wiederkehr, der Sektion, die Arbeiten früherer Preisträger vorstellt, um so die künstlerische Entwicklung der Preisträger im Verlauf der Zeit zu dokumentieren und eine Gelegenheit zu Austausch und Vergleich zu bieten.
Die Sektion Russian Accent/St. Petersburg Performances, die vom Baltic House-Theater ausgesucht wurde, beinhaltet drei Aufführungen: Your Gogol unter der Leitung von Valery Fokin, Daniel Stein, translator, Regie Andrzey Buben sowie Moscow-Petushki von Andrei Scholdak. Auch die Konferenz St. Petersburg culture policy in European context ist Teil dieses Angebots.
Wie gewohnt werden auch diesmal während der Veranstaltung einige Parallelevents stattfinden, wie die Generalversammlung der Union des Théâtres de l’Europe, Mitgliedsorganisation und Förderinstitution des Preises, die auch ihr Projekt „Permeability – projects 10-12“ vorstellen wird. Weiterhin sind Versammlungen der folgenden Mitgliedsorganisationen des Preises geplant: das Exekutivkomitee, das Seminar für junge Theaterkritiker und die Begegnung mit dem Herausgeberkomitee von «The Critical Stages», die alle von der Association Internationale des Critiques de Théâtre organisiert werden; das Exekutivkomitee des ITI UNESCO und ein Treffen des Instituto Internacional del Teatro del Mediterraneo. Auch eine Begegnung der Mitglieder des Team Networks sowie eine Vorstandssitzung der Associazione Italiana dei Critici di Teatro sind vorgesehen. Außerdem habe ich dieses Jahr die Freude, anzukündigen, dass der Europa-Preis für das Theater die Gründungsversammlung der Union der Theaterakademien und Theaterschulen Europas beherbergen wird, ein vom Europa-Preis für das Theater und der Accademia Nazionale d’Arte Drammatica „Silvio D’Amico“ und vom Prof. Piotr Cieslak von der Hochschule Krakau bereits in den vergangenen Ausgaben angesprochenes Projekt, das sich diesmal hoffentlich tatsächlich konkretisiert.
Ich möchte der Gouverneurin der Stadt Sankt Petersburg Valentina Matvienko danken, die mit starkem politischem Willen zur Verwirklichung dieser 14. Ausgabe des Europa-Preises für das Theater in Sankt Petersburg beigetragen hat. Auch Anton Gubankov danke ich, dem Leiter des Kulturressorts der Stadt Sankt Petersburg, der das Projekt des Europa-Preises für das Theater in Sankt Petersburg von Beginn an mit Begeisterung unterstützt hat.
Mein Dank geht auch an den russischen Minister für Kultur, Alexander Avdeed, für seine tatkräftige Unterstützung bei der Umsetzung der Veranstaltung in Russland, und an Michail Schwidkoj, den Sonderbeauftragten der Russischen Föderation für die internationale kulturelle Kooperation. Ich erinnere mich mit großer Freude an Taormina, während die merkwürdigen Veranstaltung an Lev Dodin gewidmet wurde, als Michail Schwidkoj, der russische Minister für Kultur war, mich die Medaille Puskin ausgezeichnet hat.
Weiterhin möchte ich dem Generaldirektor des Baltic House-Theaters Sergey Shub meinen besonderen Dank aussprechen, dessen Wunsch es schon seit langem war, den Preis nach Russland zu bringen. Ihm und den Mitarbeitern des Baltic House-Theaters danken wir für die freundliche Aufnahme und die tatkräftige Mitarbeit bei der Verwirklichung dieser Ausgabe des Preises.
Auch dem Ministerium für Kultur Portugals und dem Teatro Nacional Doña Maria II Lissabon möchte ich für ihre Unterstützung unseren Dank aussprechen.
Der Europa-Preis für das Theater hat sich inzwischen als privilegierter Treffpunkt für ein zahlreiches Publikum aus Journalisten und Theaterkritikern, Leitern von Festivals und Theatern, Theaterfachleuten jeder Art, Studenten von Akademien, Universitäten und Schulen zum Theater aus ganz Europa etabliert. Auch dieses Jahr haben wir wieder unzählige Teilnahmeanfragen erhalten, und dies ist das eindeutigste Zeugnis dafür, wie sehr der Europa-Preis für das Theater im Lauf der Zeit gewachsen ist; darüber freuen wir uns natürlich besonders und wir danken allen unseren Gästen, jedem einzelnen von ihnen, die aus allen Teilen der Welt kommen und zu den verschiedenen Ausgaben des Preises beitragen, der nun schon so lange als Wanderveranstaltung in ganz Europa existiert.
Zu guter Letzt danke ich der Jury und dem Vorstand des Preises sowie allen Mitarbeitern des Europa-Preises für das Theater für ihren Einsatz und ihre Begeisterung. Ich danke all denen, die über die Jahre an die Idee des Europa-Preises für das Theater geglaubt haben und glauben, und an dieses Europa „des Schönen, des Menschlichen, der Dinge, die das Theater betreffen wie jede andere Aktivität des menschlichen Geistes“, wie es Giorgio Strehler in seiner Preisträgeransprache beim 3. Europa-Preis für das Theater ausdrückte, als er seinen Wunsch nach einer zukünftigen engen Zusammenarbeit der Union des Théâtres de l’Europe mit dem Europa-Preis für das Theater kundtat.
Alessandro Martinez
Generalsekretär, Europa-Preis für das Theater