Premio Europa per il Teatro Premio Europa per il Teatro Premio Europa per il Teatro Premio Europa per il Teatro
VI Ausgabe - Begründung

LUCA RONCONI

Als unermüdlicher Schöpfer immer neuer Theaterinszenierungen, als Schauspieler und als Lehrmeister von ganzen Schauspielergenerationen, als Erfinder von neuen Räumen und Perspektiven hat Luca Ronconi mit seiner Arbeit die Art Theater zu machen und zu erleben beeinflußßt und verändert. Seit fast vier Jahrzehnten ist seine Tätigkeit, die vom Theater über die Oper bis zum Fernsehen geht, in den verschiedenen Bereichen von einer rigorosen Kohärenz gegenüber den Texten gekennzeichnet, wobei er sich immer wieder in Frage stellt, jedes Etikett ablehnt, und das, obwohl seine Suche nach neuen Kommunikationsweisen ihn mehr als einmal zu extremen Herausforderungen geführt hat, die als 'unrealisierbar' galten, sei es angesichts der Wahl von bisher unaufgeführten Werken, von denen man meinte, man könne sie nicht darstellen, sei es wegen der Anzahl beteiligter Schauspieler oder der jede Konvention überschreitenden Länge der Stücke, oder nicht zuletzt aufgrund der Nutzung von ungewöhnlichen, oftmals so gar nicht theatralischen Räumen und der Einbeziehung gewagter Maschinerien. Und was soll man von der Umkehr der bisher konsolidierten Darstellungsweise von Klassikern sagen, erarbeitet kraft seines Scharfsinns bei der eingehenden Erstellung der Regiebücher? Ausgestattet mit einer Rationalität, der es aber nie an Ironie fehlt, und einer geradezu hellseherischen Fähigkeit sich in vergangene Zeiten einzuleben, hat Ronconi an der Theatergeschichte mitgeschrieben, von der griechisch beeinflußten Phase der Anfänge, hin zu seiner Lieblingsepoche des Barock, von Elisabethanischer Härte zur Entlarvung Goldonis, während er gleichzeitig die Klischees der Opernlibretti bloßstellte, um mit einer Empfindungsanalyse nach der Art Ibsens weiterzumachen, um dann in eine eindringliche Wiederaufnahme des 'Felix Austria' überzugehen, mit einem Zwischenspiel des geradezu manisch angewandten Deutschen Naturalismus. Ausgehend von Pasolini ging es dann mit einer neuen Art der Dramaturgie weiter, bis er schließlich die Lust am Erzählen wiederfindet, zunächst im Stil struktureller Lesungen, um dann auf Romanbearbeitungen für die Bühne überzugehen, von Gadda bis Dostojewskij. Doch in jeder seiner Arbeiten ist die Tradition Basis, um auf immer andere Weise die Beziehung zwischen Autor und seinen ursprünglichen Zuschauern herzustellen. Diese Art der Eroberung wurde sicherlich ganz entscheidend vom Laboratorio di Prato beeinflußt, das er in den siebziger Jahren gegründet und geleitet hat, um die Methode einer nicht-realistischen Ausdrucksweise des Schauspielers zu entwickeln und einen zeitgenössischen Raum zur Körperübung zu schaffen.

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CHRISTOPH MARTHALER

Der Regisseur Marthaler erhält den Europa-Preis für “Neue Wirklichkeiten des Theaters”. Hat sich die Jury geirrt? Nichts Neues steht auf den vielen Bühnen, die Anna Viebrock in diesem Jahrzehnt für Marthaler gebaut hat. Die Wände sind fleckig, die Möbel abgeschabt, die Kleider angeschimmelt. Mitten in der Leere der Räume (in denen sogar das Licht altersgrau scheint) tragen gebrauchte Menschen ihre fast zu Tode verbrauchten Glieder und Gesichter. - “Neue Wirklichkeiten”? Marthaler wirkt auch als Künstler und Person ganz anders, als die Moderne sich ihre “Neuerer” wünschte. Undenkbar, daß er sich an die Spitze einer “Bewegung” drängt, daß er seine Träume zu einem “Programm ” oder “Manifesf” auf bläht, daß er irgendeinen “Ismus” zur Krücke seines Ruhmes macht. Er inszeniert Opern und Dramen anders als man sie bisher sah; er mischt Wort in Musik zu verblüffenden Montagen - doch niemals im Namen des Neuen. Seine Neuerung gibt sich als bloße Neuordnung der Vergangenheit. Die Linie, die seine Aufführungen in die Zukunft ziehen, sucht ihren Anfang bei Tschechow und Maeterlinck, ihre Fortsetzung bei Beckett. Deren Umdeutung der Bühnen-Zeit, Befreiung der Zeit zur Langsamkeit, nutzt Marthaler (anders als Bausch, als WiIson) zu einer abenteuerlich geduldigen Lektüre der Realität.
Die Schärfe des beobachteten Details - Marthalers gespenstische Kenntnis des täglich Gemeinen Bösen - Iassen uns seine Grausamkeit spüren. Aber derer tiefere Impuls seiner Lektüre des Realen ist ein anderer, entgegengesetzter. Seine Verbannung alles Schnellen und Neuen, seine Versenkung ins Müde und Verbrauchte, kurz: Marthalers Geduld entspringt einer Menschlichen. Sie durchingt seine Inszenierungen in einer besonderen Gestalt: als Musik. Andächtiger doch als von Tschechow und Beckett hat Marthaler die Langsamkeit, das Schöne und Erschreckende der Wiederholung von einem Dritten gelernt: von Franz Schubert; AIs Musiker hat Marthaler im Theater angefangen. Er ist auch als Regisseur-Autor noch Musiker geblieben